Mit
äußerster Besorgnis und unter
Berücksichtigung aller erdenklicher
Vorsichtsmaßnahmen traten fast alle
Mitglieder der Domäne Dresden den langen Weg nach
Rumänien an, der Einladung
ans Schwarze Meer folgend, die ihnen auf so merkwürdigem Wege
überbracht wurde.
Es galt nun also, einen Tzimisce zu besuchen, der ihnen bei dem Problem
mit
Orszagh vielleicht würde helfen können.
Die
bisher erbeuteten
Gegenstände, die mit dem Feind der Domäne in
Verbindung standen – der Schwarze
Herrgott, eine alte Ikonenmalerei, der Schädel von Orszaghs
Vater und der
Stammbaum, sowohl der sterblichen als auch der kainitischen Familie,
wurden
ebenfalls mitgenommen, in der Hoffnung, damit etwas erreichen zu
können.
Zur
elften Stunde fand man sich an der Dorfkirche in
Târguşoara ein, voller Ungewißheit ob der Dinge,
die da kommen mögen.
Es näherte sich
bald eine
Gestalt, in gebückter Haltung, mehr kriechend als gehend, die
seltsame Laute
von sich gab und scheinbar keiner Sprache mächtig zu sein
schien. Auf den Brief
von Ioan Luca Istradi, welcher die Domäne zu sich eingeladen
hatte, reagierte
sie äußerst positiv und begann, sich an den Brief zu
kuscheln. Mit Handzeichen
gab sie den Kainskindern zu verstehen, ihr zu folgen.
„In der Domäne des unmenschlichen Wesens angekommen, wurden wir von einer seiner Kreaturen abgeholt. Seine Seele war noch die eines Menschen, sein Leib schon lange nicht mehr, unvorstellbar deformiert und verstümmelt. Es wurde behandelt wie ein Haustier, es wurde geschlagen und belohnt und schien seinen Herrn zu lieben, zu vergöttern.“
Wilhelmine Waldbach
„Ich weiß nicht, ob dieses Wesen ein Mensch war oder eine Ausgeburt der Hölle. Es hatte einen gebückten Gang und außer ein paar Lauten, die nicht menschlich, ja noch nicht einmal tierisch klangen, brachte es nichts hervor.“
Alexander Pfeifer
Unterwegs
begegnete den Dresdnern
noch ein Mann, der sie vor den Gefahren vor Vampiren in diesen Landen
warnte
und zu diesen Zwecken Kreuze, Knoblauch und Weihwasser anbot.
„Herr von Carlowitz wurde von einem Straßenhändler belästigt, der ihm Kreuze, Knoblauch und Weihwasser zum Schutz gegen Vampire verkaufen wollte. Herr von Carlowitz löste das Problem, indem er den Mann einfach fort schickte.“
Rufus
Am Haus von Istradi selbst, der sich offenkundig über die Maskerade nicht im Geringsten Sorgen machte, denn es prangte großzügig das Symbol der Unholde an seinem Haus, wurden die Reisenden von Ileana, der Dienerin des Hauses und der seltsamen Kreatur, dessen Rufname sich später als Skrzat herausstellte, auf ihre Zimmer gebracht. Diese trugen Namen wie „Raum der Tiere“, „Raum der Instrumente“ oder „Raum der Venen“ und schienen auf die jeweiligen Clans abgestimmt zu sein, denn in jedem fanden sich Bilder, die thematisch zu den Bezeichnungen paßten und, weitaus schlimmer noch, groteske Fleischstatuen, allesamt mit sich bewegenden Augen, manche sogar mit Ohren oder Mündern. Der Ekel, den dieser Raumschmuck hervorrief, wurde im Hinblick auf die Gastfreundschaft, von der man wußte, daß der Gastgeber sehr streng bei ihrer Einhaltung war, hintergeschluckt.
„Im Zimmer
des Clans der Rose hingen Bilder von – ich würde
sagen – anatomischen Studien,
das Interessanteste aber war eine Statue aus Fleisch. Ich kann nur
hoffen, daß
es kein Menschenfleisch war. Aus diesem Ding ragten eine Nase, ein Ohr
und ein
sich leicht bewegendes Auge hervor. Zumindest zeigte es keine Aura an,
die man
wahrnehmen konnte. Ein Malkavianer, der offenbar nicht zur
Domäne gehörte, bot
sich an, sie mit seinen Methoden zu näher untersuchen, da er
aber nicht wußte,
wie lange das dauern würde, verdeckten wir es lieber
vorsichtshalber.“
Alexander Pfeifer
Nach
kurzer Zeit wurde man erneut
hinuntergerufen, um im Großen Saal auf den Hausherren zu
warten, der die Domäne
in seinem Heim willkommen hieß. Christian Alexander Cless
stellte die
mitgereisten Kainskinder aus Dresden entsprechend ihres Ranges vor, und
bis auf
die Tremere, welche völlig ignoriert wurden, fand der Hausherr
auch einige
wohlgesetzte Worte zur Begrüßung.
Allerdings fing sich der
Seneschall sogleich eine Rüge ein, denn der Tzimisce schien zu
spüren, daß sich
ein weiterer Gast noch draußen aufhielt und um das Haus
schlich – in der Tat
war Jonny B. Good zunächst noch draußen geblieben,
um im Notfall schnell
eingreifen zu können, allerdings wurde er von Cless
hineinbeordert.
Im
Anschluß darauf sollte es zu
einem kleinen Umtrunk kommen, doch Ileana ließ versehentlich
zwei Gläser
fallen, woraufhin Istradi sie unter lauten Schreien beschimpfte und sie
brutal
schlug. In den Gesichtern der Gäste machte sich ob dieser
Szene ein gewisses
Unbehagen breit, welches nicht mehr weichen sollte. Nach der
Zurechweisung der
ungeschickten Dienerin folgte ein persönlicher Umtrunk von
Istradi und Herrn
Cless, für die übrigen Anwesenden wurden zwei Frauen
in den Raum geführt, vor deren
Münder Haut geformt worden war und die sich zum Trinken
anboten, was jedoch nur
von wenigen genutzt wurde. Um so beherzter griff Istradi selbst zu.
Nach der Stärkung machte man sich an die Planung des Vorgehens. Frau Waldbach und Herr van Amersfoort hatten, wie sich herausstellte, bereits eigene Erfahrungen mit Reisen in die Geisterwelt gesammelt und konnten einiges dazu beisteuern.
„Was in mir eher ein Unwohlsein auslöste, war seine Reaktion auf diese Italienerin und mich. Uns beide wollte er in der ersten Reihe sitzen haben, um etwas Hübsches betrachten zu können. Gott sei Dank ist er nicht auf die Idee gekommen, bei unseren Körpern selbst Hand anzulegen, ich befürchte, sein Sinn für Schönheit ist abartig und verkommen.“
Wilhelmine Waldbach
Groß jedoch waren Überraschung und Unmut der Kainiten, als sich herausstellte, daß Helene Weber, welche im Besitz des Schädels von Orszaghs Vater gewesen war, diesen an den Feind verloren hatte und stattdessen als Substitut nur irgendeinen Schädel mitgebracht hatte. Erhardt Robrugk sollte sie verhören und ihr auf den Zahn fühlen, wie das hatte geschehen können und man kam überein, daß für Ersatz gesorgt werden müsse. Zwar existierte eine Seitenlinie der Orszaghs bis in die heutige Zeit und ihre Gräber fanden sich hier im Ort, jedoch wies Istradi die Dresdner darauf hin, daß dies nur ein minderwertigerer Ersatz für den magisch deutlich mächtigeren Schädel sein konnte und die Tremere die alleinige Schuld daran trugen, da sie den Schädel verloren hatten.
In einer kleinen Pause betraten Menschen aus dem Dorf den Hof, sie wollten, wie sich herausstellte, die Zustimmung des Herren zu der Hochzeit ihrer Kinder haben, die sich jedoch äußerst unwillig zeigten und nicht heiraten wollten. Allein, das Wort der Eltern und erst recht das des Voivoden schien Gesetz, auch das gute Zureden der Dresdner änderte nicht viel daran. Nicht nur einer fühlte sich ob dieser Szenen zurück ins finsterste Mittelalter versetzt.
„Kurze Zeit später betraten vier aufgebrachte Menschen den Saal. Die zwei Jüngeren sollten scheinbar heiraten und die beiden anderen waren offensichtlich Elternteile der Jüngeren. Die Jüngeren wollten unter keinen Umständen heiraten. Herr Istradi ließ diesen Einspruch nicht gelten und entschied wie ein mittelalterlicher Despot, der er wahrscheinlich auch war, daß die beiden trotzdem heiraten sollten. Obwohl das in unseren Gefilden undenkbar ist, akzeptierte ich diesen Brauch aus einer anderen Kultur.“
Alexander Pfeifer
Ileana faßte sich inzwischen ein Herz und bat Herrn Cless um ihre Rettung, denn länger als ein weiteres Jahr werde sie hier in diesem Haushalt sicher nicht überstehen. Auch in Rufus fand sie einen willigen Planungshelfer ihrer Flucht.
Istradi ließ inzwischen nach einer Nachfahrin der Familie Orszagh schicken, Violeta Galinascu aus einer Seitenlinie, die bis in die heutige Zeit existierte. Diese verfügte über einen Stammbaum, der bis zu den Anfängen der Familie zurückreichte und auch die Linie von Miroslav Orszagh verzeichnete. Sie erklärte sich, nachdem man die entsprechende Idee entwickelte, auch dazu bereit, nicht nur den Stammbaum, sondern auch ihr Blut zu geben, was eine weitere Verbindung zu Orszagh darstellte. Allerdings wollte sie dafür eine entsprechende Gegenleistung: innerhalb zweier Jahre sollen ihr die Dresdner eine Fee beschaffen, die in der Lage ist, besondere Tränke zu brauen, denn Violeta ist, wie ihre Großmutter, eine Hexe.
„Aber ihre Gegenleistung! Eine Fee „organisieren“, die ihr beim Tränkebrauen helfen soll! Wie absurd! Unwissendes Menschlein!“
Wilhelmine Waldbach
Eine kleine Gruppe bestehend aus Helene Weber, Rufus, Hans Grauer und Katharina Sesemann machte sich indessen auf den Weg zum Friedhof, um andere Knochen zu finden, die mit der Familie Orszagh in wenn auch entfernter Beziehung standen. Dabei wurden sie von Geistern gestört, die ein dauerndes Gefühl von Unwohlsein verströmten und sich an Schmerz und Leid erfreuten. Nach einigem Suchen jedoch konnte man wieder mit einem Schädel zurückkehren.
„Als Gebeine freigelegt worden waren, stellten wir fest, daß sie schon zu verfallen waren, um sie noch zu verwerten. Das Grab wurde wieder verschlossen und ein jüngeres gesucht, aus dem wir dann verwertbare Überreste bergen konnten. Die ganze Zeit wurden wir von Geistern begleitet, die zeitweilig versuchten, uns gegeneinander aufzubringen.“
Rufus
Nachdem man sich darüber verständigte, in die Geisterwelt zu reisen und die Erinnerungen Orzsaghs zu ändern und gemeinsam mit Istradi die Grundzüge des Rituals erarbeitete, kam man zu dem Punkt, daß eine Art „Reittier“ benötigt werde, ein Wesen, daß in beiden Welten existiere und in beide wechseln könne. Der Voivode sprach davon, daß sich seine Gäste dieses Reittier beschaffen könnten, einen Kupala. Nachdem keiner der Dresdner etwas mit dem Begriff anfangen konnte, wie die Stille im Raum bewies, fragt Johann von Schleier schließlich danach und Istradi erläuterte, daß es sich dabei um einen Dämon handele, der durch Wut stärker wird und durch Schönheit schwächer – man müßte ihm also Lieder singen, Gedichte darbringen oder ähnliches, um ihn zu schwächen und einzufangen. Das Gefäß für diese Tat erhielt Alexander Pfeifer, der erst neu in Dresden angekommen war und dennoch schon mit auf die Reise ging.
Nun galt es also, mit Gesang einen Dämon zu fangen, was leichter klang als es durchzuführen war, denn sobald er, durch die Lieder entsprechend geschwächt, angegriffen wurde, erstarkte er wieder. Zudem schien er seine Gegner aufputschen zu können, um sich an deren Gefühlen zu laben. Mehrere Minuten tobte ein erbitterter Kampf, bis Katharina Sesemann das Wesen schließlich festhielt und durch lauten Gesang schwächte, ohne gegen ihn zu kämpfen. Dadurch konnte er schlußendlich gefangen werden.
„Herr von Carlowitz sang und wurde von einem mächtigen Keulenhieb getroffen. Ich eilte zu ihm und spürte, wie das Blut meiner Muskeln arbeitete, ich hob ihn an und stellte ihn in den hintersten Reihen wieder ab. Er war in Sicherheit, aber die anderen? Herr Cless hockte in vorderster Front und sang ebenfalls. Plötzlich schien der Kupala ihn ins Auge zu fassen, mir blieb nichts weiter übrig, und ich stellte mich dazwischen. Irgendwie wandte sich das Ding von mir ab und ich glaubte uns in Sicherheit, da überkam es mich plötzlich.
Das Tier bäumte sich auf, ich versuchte es im Zaum zu halten, wie ich es schon so oft in letzter Zeit getan hatte, doch diesmal war es stärker, viel stärker und dann übernahm es die Kontrolle und ich konnte nur noch wie durch einen Schleier feststellen, was in den nächsten Augenblicken passierte. Herr Grauer tauchte auf und wurde sofort attackiert, meine Schläge prasselten auf ihn ein, aber schienen fast wirkungslos zu verpuffen. Seine hingegen rissen tiefe Wunden in mein Fleisch und schließlich wurde es dunkel um mich.“
Rufus
In
der nächsten Nacht erwachten viele
mit Blessuren, denn der Kampf gegen den Kupala war nicht spurlos an den
Kämpfenden vorbeigegangen. Hinzu kam bei den Gangrel eine
gewisse gereizte
Grundstimmung, was die Lage nicht unbedingt vereinfachte.
Zudem erschreckte die
Kleiderpuppe Istradis die gerade aufgestandenen Dresdner, lief sie
doch, im
Gegensatz zum gestrigen Tag, plötzlich herum.
Nachdem auch der Hausherr zugegen
war, begann man mit der weiteren Planung, als plötzlich zwei
verzweifelt
wirkende Menschen von zwei äußerst brutal
vorgehenden Ghulen hineingebracht
wurden. Sie hätten gegen Istradi aufbegehrt und die
Dorfbewohner zur Revolte
angestachelt. Leidenschaftlich verteidigte das Paar seine Haltung und
forderte
Freiheit von Istradi. Einige verließen ob dieser Szene
bereits den Raum, doch
als Istradi den Mann kurzerhand umbrachte, wurde die Stimmung immer
drückender.
Grauer sollte sich eine Strafe für die Frau ausdenken,
gemeinsam mit von
Carlowitz, Cless und Ritter. Schließlich einigten sie sich
auf Zwangsarbeit, in
der Hoffnung, wenigstens ihr Leben gerettet zu haben.
„Dieser Istradi war abartig, widerlich, unmenschlich. Nie wieder will ich eine solche Gestalt erleben müssen! Wie er mit Menschen umgeht ist unvorstellbar widerwärtig und verachtend. Bis jetzt konnte ich mir nicht vorstellen, daß jemand so sein kann. Aber es muß an der Fähigkeit dieser Familie liegen, kein Wunder, daß sie nur im Sabbat vertreten ist! So etwas kann doch kein Prinz dulden! Und dann noch das Herrschergehabe aus dem Mittelalter! Das es so etwas in Europa noch geben kann ist doch nicht zu glauben, auch wenn seine Domäne am sogenannten Arsch der Welt liegt. Aber wo sonst könnte ein solches Geschöpf einen Menschen ungestraft umbringen?
Gott, es war schrecklich! Ich hätte nicht gedacht, daß er diesen jungen Mann einfach umbringt! Ich war wie paralysiert, konnte, und wollte es einfach nicht glauben! Ich hätte etwas tun müssen, hätte um das Leben bitten müssen, aber nun ist es zu spät! Und ich spüre, wie das alles eine Wunde in meine Seele gerissen hat. Ich weiß, es wird eine Narbe in meiner Empfindungsseele hinterlassen. Es wird mein zukünftiges Unleben prägen.“
Wilhelmine Waldbach
Doch es sollte nicht nur diese eine Strafe geben, denn jemand hatte sich an der Gestaltung der Zimmer vergriffen. Jonny bekannte sich freimütig zu seiner Tat, da ihn die Bilder anekelten. Trotz seiner Ehrlichkeit sollte er jedoch bestraft werden, und Istradi riß ihm die Haut des linken Unterarmes herunter.
Mittlerweile war die Stimmung im Raum deutlich angespannter geworden, doch in den Vorbereitungen des Rituals fand sich Gelegenheit, die Gedanken auf etwas anderes zu richten. Dennoch sollten drei Personen zurückbleiben, falls etwas schiefgehen sollte, zudem sammelten Katharina und Jonny von fast allen Blut ein, damit sie einen zusätzlichen Anker hätten, falls der im Ritual versage.
Und so machten sich alle außer Jonny, Katharina und Rufus auf, in den Kreis zu steigen. Kurzzeitig kam es zu einiger Verwirrung, als sich herausstellte, daß Skrzat die Phiole mit dem Blut Violetas entwendet hatte, jedoch konnte dies schnell aufgeklärt werden.
Dann begann das Ritual. Mit der Anrufung der Planeten, ihrer Zuordnung zu den Gegenständen und der Beigabe des Blutes der Anwesenden wurde der Kupala aus seinem Gefängnis befreit und ein starker Sog erfaßte die Ritualteilnehmer. Sogar Rufus, der zurückbleiben sollte, wurde durch eine dünne Stelle des Kreises mit hineingezogen und ging mit auf die Reise.
Hans Grauer, Karlo Marietta Ritter, Ferdinand van Amersfoort und Rufus fielen zu Boden. Zeitgleich tauchte im Ritualkreis ein Wesen auf, welches nach „Blut für den Wyrm“ verlangte, nach Valejev Chrustschnick schlug und die von Alexander Pfeifer dargebotene Phiole mit dem Blut Violetas zwar verschmähte, dem Toreador jedoch den Arm abschlug und mit diesem wieder verschwand.
„Jeder von uns opferte einen Tropfen Blut, um einen Ankerpunkt in der physischen Welt zu schaffen. Als Kupala befreit war, wurden wir von einem Wirbel erfaßt. Als es aufgehört hatte, sich zu drehe, war plötzlich ein Wesen aufgetaucht, daß ganz anders aussah als Kupala. Es verlangte nach Blut und griff Herrn Chrustschnick an. Da es Blut wollte, dachte ich, es sei Kupala. Ich war sehr nervös, und es dauerte einige Augenblicke, ehe ich die Phiole mit dem Blut geöffnet hatte. Als ich sie dem Wesen unter die Nase hielt, schlug es nach meinem Arm und trennte ihn ab. Die Phiole fiel zu Boden und zerbrach.“
Alexander Pfeifer
Die
anderen vier fanden sich
indessen in einer dunklen, neblig-wabernden Welt wieder, entfernt zogen
Gestalten umher, nirgends konnten sie sich orientieren.
Plötzlich
überkam Grauer die
Erinnerung an die Kälte und Einsamkeit Sibiriens, es war so
stark, daß er sich
selbst wieder in der damaligen Situation wähnte und seine
Mitreisenden zunächst
nicht wahrnahm. Erst allmählich klärten sich seine
Gedanken und er fand zurück.
Doch das, was ihm widerfuhr, schien auch die anderen zu ereilen, denn
einer
nach dem anderen fand sich ein jeder in einer Szene aus seiner
Vergangenheit
wieder, die so real wirkte, als würde er sie zum ersten Mal
erleben. Ferdinand
sah sich von seiner Nemesis verfolgt, Rufus begrub voll Reue gestohlene
Knochen
und Karlo wurde im Schwarzwald von Werwölfen gehetzt.
Inzwischen waren die übrigen, die noch mit dem Ritual beschäftigt waren, unter den wachsamen Augen der beiden Aufpasser nur noch verschwommen zu sehen und Erhardt Robrugk, Wilhelmine Waldbach und Alexander Pfeifer traten ihren Weg an. Im Ritualkreis tropfte plötzlich ekliger Schleim aus dem Nichts und ein seltsames leuchtendes und glibberiges Wesen erschien und schien deutlichen Gefallen an Frau Sesemann zu finden.
Die
drei Toreador fanden sich,
wie schon die Gruppe vor ihnen, im dunklen Gewaber wieder und
begegneten auch
der ersten Gruppe. Genau wie die anderen trafen auch die Mitglieder des
Clans
der Rose auf ihre Erinnerungen. Erhardt begegnete einer Frau, die er
aus
sterblichen Tagen kannte, und aus dieser Begegnung schöpfte er
neue Hoffnung.
Wilhelmine sah sich mit einem Mann konfrontiert, den sie eigentlich vom
Sabbat
zerrissen wähnte und der ihr vorwarf, sie im Stich gelassen zu
haben, während
Alexander an seinem ersten getöteten Opfer verzweifelte.
Erneut
ging ein Ruck durch die
übrigen Ritualteilnehmer und Christian Alexander Cless,
Albrecht Friedrich
August von Carlowitz, Valejev Chrustschnick und Deliah Rodriguez wurden
mitgenommen. Auch hier tauchte etwas aus der Geisterwelt auf, ein
aufgebrachter
Mann, der sich darüber erzürnte, von so einem
Kindergarten aus dem Geisterreich
gezogen worden zu sein. Nachdem er seinen Namen mit
„Giovanni“ angab und einigen
auffiel, daß es sich bei ihm um einen Vampir handelte,
bestand Frau Carrera
vehement darauf, daß er sich wieder dorthin scheren solle, wo
er hergekommen
sei, was er auch tat, da ihn das Ritual eher amüsierte als
störte.
Mittlerweile versuchten die Reisenden, sich auf schöne Gefühle und Erinnerungen zu besinnen, in der Hoffnung, dadurch weiterzukommen, jedoch traf lediglich die nächste Gruppe ein und wurde ebenfalls von ihren Erinnerungen heimgesucht.
Valejev wurde gepflöckt und seine Gedanken gingen durch den Raum, von Albrecht wurde verlangt, daß er im Kriege seine Einheit opfern sollte, was er jedoch mit seinem Gewissen nicht vereinbaren konnte. Deliah wurde vom Tod ihrer Eltern berichtet und Christian trennte sich schweren Herzens von seiner Verlobten.
„Scheinbar noch zu sterblichen Zeiten stand von Carlowitz vor einem Vorgesetzten in einer Schlacht und sollte seine Truppen zu einem Himmelfahrtskommando führen, dies lehnte er ab, mit der Gewißheit, daß er dafür vor einem Kriegsgericht landen würde. Danach brauchte er viel Zuspruch und konnte sich eine ganze Weile nicht fassen.“
Rufus
Schlußendlich
traf die letzte
Gruppe ein und mußte sich auch den jeweiligen Erinnerungen
stellen. Isabella
Maria Carrera sah sich mit einem mächtigen Kainskind
konfrontiert, das darauf
bestand, daß ihm Venedig gehöre, Johann Siegfried
von Schleier gab den Kuß
weiter, das Kind aber war außer zu Schreien und Schluchzen zu
nichts anderem in
der Lage. Der Verlobte von Helene Weber forderte die Abkehr von ihren
Studien
hin zu Heim und Herd und auch Ravic Schumann trennte sich von Frau und
Kind.
Die
Reise ging nun weiter, und
die Reisenden fanden sich in den Erinnerungen Orszaghs wieder. Zuerst
in einer
Schreibstube, als Miroslav den Stammbaum betrachtete und er
wehmütig feststellte,
daß mit ihm seine Familie ausstirbt. Diese Szene wiederholte
sich immer und
immer wieder, und die Kainskinder versuchten, den Schreiber zu
beeinflussen,
daß er noch eine Linie vergessen habe, daß die
Linie nicht ausstirbt sondern
die Familie weiterlebe.
Nach
dieser Änderung verblaßte
die Erinnerung und die nächste trat ein, in der Orszagh drei
Frauen durch den
Wald verfolgte, bestialisch tötete und ihr Blut trank. Auch
diese wiederholte
sich, so daß ein teil versuchte, Orszagh aufzuhalten, der
andere die Frauen in
Sicherheit brachte.
Anschließend
folgte eine Szene,
in der Orszagh zu der Ikone betete und die Heilige Maria um Gnade
anflehte, da
er seinen neuen Zustand nicht verstand. Signora Carrera
übernahm die Rolle der
Heiligen Jungfrau und sprach zu ihm, wies ihm den Weg zu Güte
und Nachsicht.
In
der anschließenden Erinnerung
wurde Orszagh der Schwarze Herrgott überbracht, doch wurden
die Boten von den
Dresdnern abgefangen, so daß ihn das Kreuz nie erreichte.
Darauf
fand man sich in einer
Taverne wieder, und ein Spion verriet den Aufenthaltsort des Kreuzes,
doch
wurde dieser so beeinflußt, daß er nicht mehr
wußte, wo das Kreuz zu finden
sei.
Anschließend
sah man eine Szene
unmittelbar nach der Weitergabe des Kusses, denn Orszaghs Eltern
knieten neben
ihm und trauerten um ihren Sohn, der plötzlich aufstand und
beide in Raserei
tötete und austrank, woraufhin erst die Eltern in Sicherheit
gebracht wurden
und Orszagh sich stattdessen auf Herrn Cless stürzte.
In
der nächsten Erinnerung fand
man Orszagh, wie er mit einem anderen Kainiten einen Plan
faßte, den Prinzen
von Prag mit Hilfe des Schwarzen Herrgottes zu stürzen, doch
wurde ihm Verrat
durch seinen Mitverschwörer eingeflüstert.
Es
folgte die Todesszene des
Vampirs, der durch eben jenen Verräter niedergestreckt wurde,
doch konnte es so
geändert wurde, daß der vergiftete Dolch nie traf
und statt dessen der Verräter
seinen Tod fand.
Dann
sah man Orszagh am Schwarzen
Kreuz, mittlerweile als Geist zurückgekehrt, und andere
Geister schwebten um
ihn herum. Er faßte seinen Plan, Dresden mit Hilfe des
Kreuzes und der Geister
zu übernehmen, doch in der Wiederholung wurden die Geister
ausgetauscht und die
Dresdner machten ihm weis, daß er im Nichts sei,
daß alles bedeutungslos,
verloren und vorbei sei.
Danach folgte die letzte und finale Konfrontation mit, endlich, Orszagh selbst. Durch die geänderten Erinnerungen deutlich verwirrt, begriff er seinen Zustand nicht mehr, stellte Fragen, die im niemand mehr beantworten konnte. Nur durch großes Einfühlungsvermögen, dem sachten Lenken in die richtige Richtung, dem vorsichtigen Innehalten vor dem Zornesausbruch und der richtigen Menge an Intuition war es den Dresdner Kainskindern möglich, Orszagh dazu zu überreden, von dem Kreuz und seinen Plänen abzulassen, damit er endlich Frieden finden könne. Bevor er sich auflöste, wirkte Orszagh befreit, ja fast glücklich.
„Er war verstört, wußte nicht, was passiert war. Nach vielen Worten gelang es uns dennoch, ihn zu lösen und zu überreden, weiterzugehen. Die Geisterwelt zu verlassen und in die nächste Welt weiter zu reisen, ein weiterer Schritt zur Reinkarnation.“
Wilhelmine Waldbach
Zurück in Rumänien fanden sich alle von dem Erlebten sehr mitgenommen, fast niemand konnte glauben, daß es wirklich geschafft sein sollte und alle wieder heil zurückfanden. Nachdem das Ritual aufgelöst wurde und Herr Cless abschließende Worte sprach, zerbröselte der Stammbaum, der Schädel zerfiel zu Asche, die Ikone verrottete und auch das Schwarze Kreuz zerfiel zu ledrigen Resten, was einen enormen Zornesausbruch des Tzimisce nach sich zog, der sich nun um seinen Preis betrogen sah. Wutentbrannt entzog er den Dresdnern das Gastrecht und jagte sie, unterstützt von bis auf die Zähne bewaffneten Bratovitchs, von seinen Ländereien.
„Als das Kreuz nach unserer Rückkehr zerfiel, stieß Istradi einen markerschütternden Schrei aus, beschimpfte uns und entzog uns das Gastrecht in seiner Domäne, das Einzige, was uns hier schützte. Gemeinsam traten wir die Flucht in die Nachbardomäne an und alle konnten unbeschadet entkommen.“
Rufus