Ein außergewöhnlicher und ganz spezieller Anlaß war es, der
in dieser Oktobernacht die Kainskinder Dresdens und einige Gäste
zusammenführte. Nach dem Schrecknissen und unangenehmen Überraschungen der
letzten Zeit sollte es nun ein erfreuliches Ereignis sein, anläßlich dessen
schon bald nach Sonnenuntergang die ersten Vampire in der Nähe des Kinos im
Kasten herumzuhuschen begannen.
„Privatveranstaltung“ verkündete ein abweisendes Schild
außerhalb des Gebäudes, pikanterweise auf einem Aufsteller in der Silhouettenform
von Max Schreck, bekannt aus dem Stummfilm „Nosferatu“. Die geladenen Gäste
wußten, worum es sich handeln würde: der Toreador Hjorka Tjälvasford hatte
geladen, der Premiere seines neuen Films beizuwohnen.
Er empfing die Kainskinder selbst im Foyer des Hauses und
nach und nach füllten sich die Räumlichkeiten. Der Clan des Mondes war erneut
nur durch Herrn van Amersfoort vertreten, davon abgesehen war die Domäne
erfreulich zahlreich erschienen.
Insbesondere der Clan der Rose war zahlreich wie selten,
denn nicht nur Friederike Andrian hatte den Film zum Anlaß genommen, nach
Dresden zurückzukehren, auch Wilhelmine Waldbach und Prinz von der Wettern
waren erschienen, zudem einige Anzahl von Bekannten des Filmemachers: der
Kritiker Alf Mainert, die Historikerin Margarethe von Steinweg und Navon du
Sandau, ebenfalls Charles McConnerher und Eliabetha Wohlheim, die beide bereits
zum Thronjubiläum des Prinzen anwesend waren.
Aus Freiberg waren Herr von Hohenstetten und Lukene
angereist.
Bald nach der Ankunft und dem üblichen Wechsel begrüßender
Phrasen konnte die Vorführung beginnen – für Erfrischungen war gesorgt, für
Popcorn in Frau Andrians Fall ebenso, und auch die Sitze für die Nosferatu
waren präpariert, um die Bezüge zu schonen.
Mehr als drei Stunden lang war Herrn Tjälvasfords Werk
geworden, eine Fülle, die durch mehrere Pausen geteilt wurde, in denen die
Kainskinder neue Konzentration sammeln und der Plauderei frönen konnten.
Natürlich sprach man über den Film. Zahlreiche Geschehnisse
in der Domäne hatte der Toreador durchaus auch mit einem Augenzwinkern und mit
künstlerischer Freiheit aus seiner Sicht dargestellt, so daß wohl niemand im
Publikum ganz sicher sein konnte, was Fiktion und was Wahrheit am Dargestellten
war.
Die Toreador führten zudem höchst angeregte Gespräche eine
Darstellung des Herrn Cless betreffend, in deren Verlauf man Punkte wie Stein,
Collagen, Pappmaché und Zuckerguß streifte, um sich schließlich auf ein
Experiment mit Münzen zu einigen. Herr Tjälvasford brachte seine tiefe Enttäuschung
über die mangelnde Höflichkeit seiner Freiberger Clansschwester Katinka Nothung
zum Ausdruck, die es nicht einmal für angebracht hielt, Briefe von Ahnen ihres
Clans oder von Clansgeschwistern zu beantworten.
Auch Herrn Goods unter wütendem Gebrüll erfolgtes
kurzzeitiges Verlassen des Saales sorgte für Irritation und Gesprächsstoff.
Während der Darstellung der Ereignisse im Juni traten
plötzlich Bildstörungen auf, und dann wurde der angenehme Fluß des Abends jäh
gestört.
Wirre Bildfolgen fluteten die Leinwand, erschreckende
Darstellungen, begleitet von fast unverständlichen Lauten. Wie gelähmt sahen
die Zuschauer der rätselhaften Intervention zu, bis nach vielleicht drei
Minuten der Spuk plötzlich vorbei war und nur noch Schneegestöber zu sehen war.
Herr Tjälvasford sprang auf und rief aus, daß dies nicht zu seinem Film
gehörte. In die entstehende Aufregung drangen plötzlich gesprochene Worte –
Herr van Amersfoort stand mit entrücktem Gesichtsausdruck im blassen Lichte des
Ausgangsschildes und rezitierte. Es handelte sich um lateinische Worte, wie
schnell klar wurde, doch den meisten der Anwesenden war nicht verständlich, was
Ferdinand von sich gab und kaum jemand erkannte einen Sinn.
Als der Malkavianer geendet hatte, verschwand Hjorka rasch,
um die Störung zu klären. Haus und Clan Tremere verschwand ebenso eilig, um
sich zu besprechen, andere Kainskinder kümmerten sich um Herrn van Amersfoort,
der vehement bestritt, Latein zu beherrschen und sich augenscheinlich an nichts
erinnern konnte. Was hatte ihn dann dazu gebracht, solches zu sprechen?
Auch die äußeren Sicherheitsvorkehrungen wurden in aller
Eile überprüft. Wie es schien, war immerhin dort alles ruhig. nach und nach,
als weiter nichts Beunruhigendes geschah, legte sich die hektische
Betriebsamkeit wieder.
Da Hjorka Tjälvasford zudem daran lag, seinen Film bis zum
Ende zu zeigen, wurde die Vorführung wieder aufgenommen und konnte diesmal auch
ohne Schwierigkeiten beendet werden.
Nicht nur der Prinz fand viele Worte des Lobes für die
gelungene Veranstaltung und die originelle Darstellung der Personen, und so
wurde es trotz des Zwischenfalls ein gelungener Abend und ein außerordentliches
Kulturereignis.