Teil II: Vom Ende des Mittelalters in die Neuzeit

Mit der Durchsetzung der Camarilla, der Eindämmung der Anarchenaufstände, aber auch mit der neuen Stabilität, welche die Wettiner in die Stadt bringen, erholen sich auch die Bevölkerungszahlen Dresdens. Es können sich wieder mehr Kainiten ansiedeln, und die Berichte, die wir von ihnen besitzen, sind jetzt umfangreicher und klarer. Bei der Sichtung der Quellen sind wir weit weniger auf Vermutungen und Spekulationen angewiesen als noch im Mittelalter oder gar in noch früherer Zeit.

In den frühen Jahren des 16. Jahrhunderts hat die Stadt berühmten Besuch. Martin Luther kommt sowohl 1516 als auch zwei Jahre später nach Dresden, um seine Ideen der Reformation unter das Volk zu bringen. Mit ihm reist ein namentlich nicht mehr bekannter Brujah aus Thüringen, der wohl auch von Luthers Ideen fasziniert ist. Allein, Herzog Georg war ein erbitterter Gegner der Reformation, obwohl er gegen den Ablaßhandel wetterte, und somit setzt sich auch diese Neuerung nur sehr zögerlich durch. Daß die Reformation dennoch fruchtet, ist dem Tod Georgs zu verdanken, so daß sie nach seinem Tode zum Tragen kommt.

Um 1500 kommen auch die ersten vom noch jungen Clan Tremere nach Dresden. Ihr Wirkungsbereich verlagerte sich rasch in die Bastei, die Wälle und Befestigungsanlagen, mit denen Dresden etwa zur Zeit der Reformation umgeben wird. Einzelne Abschnitte der Bastionen tragen Namen wie ‚Bastion Sol’, ‚Bastion Luna’, ‚Bastion Saturn’ und ähnliche, doch was die Hexenmeister damit zu tun haben und was genau sie überhaupt treiben, ist vor allem Spekulation für alle anderen Clans.

Noch zu Luthers Zeiten wird viel von dem schwarzen Kruzifix gesprochen, das in der Kreuzkirche liegt, und Wallfahrten der Sterblichen finden dorthin statt. Bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts steht es dort, dann wird es entfernt, ohne daß man je erfahren hat, wohin es gebracht wird.

1547 kommt es zum Schmalkaldischen Krieg und anschließend zur Teilung des sächsischen Reiches. Die Ernestiner bekommen das heutige Thüringen und die Albertiner Sachsen – und Dresden wird Residenzstadt. Mit der Kurfürstenwürde erlebt Dresden eine Zeit der Ruhe und des Aufschwungs. So wird die Stadt mit der Kantoreiordnung von 1548 und der damit beginnenden Musikpflege wegweisend für Europa. Dies ist nicht zuletzt auch dem Engagement von Margarethe von Hillenstein zu verdanken, einem eifrigen Mitglied vom Clan der Rose, die sich besonders dem Gesang verschrieben hat.

Ein Jahr später werden die bis dahin als zwei getrennte Städte behandelten Elbseiten, heute als Altstadt und Neustadt bekannt, zu einer Stadt zusammengelegt, zuerst gegen den Protest der Bürger, allerdings erweist sich dieser Zug als sehr klug und sinnvoll. Allgemein wandelt sich Dresden in diesem Jahrhundert von einer Ackerbürgerstadt zu einer der Handwerker und Händler.

Um 1550 wird durch Ernst von Miltitz das Schloß Siebeneichen südlich von Meißen errichtet. Über Jahrhunderte hinweg wird er Mittelpunkt der begüterten Familie bleiben, und die Ventrue der Linie von Militz haben hier für lange Zeit einen sicheren Rückzugsort.

Doch wo Licht ist, ist auch Schatten. Dieser Schatten erhebt sein verfaultes Antlitz und der Atem der Pest weht über die Residenz. In neun verheerenden Wellen schlägt sie über der Stadt zusammen. Die Angst der Bewohner ist groß, und viele müssen als vermeintliche Verursacher der Pest herhalten und sterben einen grausigen Feuertod. So auch Helene Wiedemann, die der Hexerei bezichtigt wurde. Unter der Folter gestand sie, diese von einem Kamenzer Mönch gelernt zu haben. Auch ist dies die Stunde von Karl Jakob Bucholz, einem Mondkind und Pestpropheten, der düstere Warnungen vom kommenden Ende ausstößt. Getrieben vom fiebrigen Wahn, der die Stadt in Aufruhr versetzt, taumelt er durch die Gesellschaft der Kainskinder und hinterläßt eine Spur von Angst und Verunsicherung. Als man entdeckt, daß er hauptsächlich mit vermeintlichen Schutzamuletten handelt, jagt man ihn davon, allerdings erweisen sich im Nachhinein viele seiner Prophezeiungen als wahr.

Mit dem Abklingen der Pest geht es auch Dresden wieder besser, da es zahlreiche Glaubensflüchtlinge in die Residenz lockt, allerdings herrscht teilweise große Armut in den Straßen. Auch treibt die Musikkultur neue Blüten als Heinrich Schütz 1615 Kapellmeister wird.

Doch der Mensch neigt zu Mißgunst, und so kennt auch diese Zeit ihren großen Krieg. Dresden gilt im 30jährigen Krieg als uneinnehmbar, auch wenn 1632 der Versuch unternommen wird. Jedoch wird das Umland geplündert und viele Dörfler suchen Schutz hinter den Mauern der Residenzstadt. Aus dieser Zeit sind vor allem zwei Namen überliefert: Georg Gotthold von Miltitz, das Kind des Prinzen, und Oskar Ziegler, der Erstgeborene der Nosferatu. In den umliegenden Gegenden treibt eine Ravnos ihr Unwesen, die mit den kroatischen Truppen des Krieges gekommen ist und auf den Namen Rasrajin hört.

Zum ausgehenden 17. Jahrhundert machen Geschichten über den Schwarzen Mönch die Runde unter Kainiten wie Sterblichen Dresdens. Für die Kainiten ist die kleine Gestalt, von der Sterbliche sich erzählten, sie tauche stets kurz vor dem Tod eines Mitglieds des sächsischen Fürstenhauses auf, schwer zu fassen. Beim Prinz hat sie sich niemals vorgestellt, und es gilt als offenes Geheimnis, daß es sich bei der sagenumwobenen Figur um einen Kainiten handelt, der nicht der Camarilla angehört. Er soll gewöhnlich einem Brunnen nahe des heutigen Postplatzes entsteigen und sich dann in der Stadt frei bewegen.

Einzig die Hexenmeister scheinen mehr über ihn zu wissen, denn nahe der Bastei zeigt der Mönch sich besonders oft, doch sie verkaufen ihre Informationen teuer. Sichtungen des Mönches häufen sich, 1694 und 1698 wird er von Sterblichen gesehen, doch der amtierende Sheriff bemüht sich vergeblich, ihn zu fassen.

Georg III. und Georg IV. sterben kurz nacheinander, und der Schwarze Mönch wurde kurz vor dem Tod des letzteren gesehen. Unter August dem Starken findet eine Untersuchung der Todesfälle statt, und schließlich wird die Generalin Ursula Margarethe von Neitschütz dafür verantwortlich gemacht. Auf magische Weise soll sie Georg III. getötet haben, indem sie eine Figur aus Wachs von ihm geformt und diese ins Feuer geworfen hat, woraufhin er an „verbranntem Herzen“ verschieden ist. Als Beweis gilt, daß Körper und Herz des Toten bei der Sektion blutleer aufgefunden werden. Georg IV. soll sie ähnlich behext haben. Der Prinz schäumt vor Ärger über den leichtfertigen Umgang mit der Maskerade und mahnt die Tremere ab.

Die Stadt hat viel mitgemacht in den knapp 220 Jahren unter der Herrschaft des Prinzen, und es ist ihr meist gut ergangen. Die Zeit meint es allerdings nicht gut mit Heinrich von Miltitz. Mit der Thronbesteigung von August dem Starken im Jahr 1694 und dem Erstarken des Barock verliert er mehr und mehr das Verständnis für die moderne Zeit. Er übergibt die Regierung an Johann von Ahlsbach und begibt sich freiwillig in Starre – in der Hoffnung auf bessere Zeiten.

Unter dem neuen Prinz vom Clan der Rose beginnt eine Blütezeit für Architektur, Kunst und Musik. So gibt es unzählige Theater- und Opernaufführungen und auch die Frauenkirche wird neu gebaut. Militärisch und wirtschaftlich dagegen geht es für Sachsen und Dresden bergab. Bereits 1706 ist die Stadt von schwedischen Truppen besetzt, da August Sachsen durch die gleichzeitige Königskrone von Polen mit in die Auseinandersetzung hineinzieht. Doch auch das geht vorüber, jedoch wartet der nächste Krieg bereits.

Im siebenjährigen Krieg steht Dresden unter wechselnder Herrschaft: mal sind es die Preußen, die von Österreichern belagert werden, dann ist es wieder umgedreht. 1745 findet die Schlacht von Kesselsdorf statt, nach der es zur ersten Besetzung durch die Preußen kommt, während die Österreicher plündernd wieder abziehen. Diese Situation wechselt im Lauf des Krieges mehrfach.

Am Ende ist Sachsen zerrüttet, halb Dresden liegt in Schutt und Asche, die Verschuldung wächst und Wien hat Dresden auch den Rang einer Musikhauptstadt abgelaufen.

Der Ventrue Friedrich Willhelm von Tanneberg, der als militärischer Berater und Planer fungiert, wird ob seiner scheinbaren Unfähigkeit und seiner Mißerfolge aus der Stadt gejagt, was sich später noch rächen soll.

Auch mit Napoleon hat Sachsen bekanntermaßen kein Glück, steht es doch zunächst gegen ihm und später treu an seiner Seite. Beide Entscheidungen erweisen sich als fehlerhaft. Unter napoleonischer Herrschaft werden die Festungsanlagen abgetragen, Dresden soll eine offene, eine friedliche Stadt werden. In dieser Zeit tummeln sich viele große Geister in der Stadt: Ludwig Tieck, Schopenhauer, Goethe und Carl Maria von Weber sind nur einige Namen.

Das letzte Jahr des Krieges bringt erneut viel Leid. Es ist eine harte Prüfung, die Dresden 1813 über sich ergehen lassen muß. Die Stadt beherbergt laut einigen Quellen über 7 Millionen Soldaten der verschiedenen Armeen – und das bei rund 40 300 Einwohnern. Natürlich treibt sich da auch allerhand Gesocks mit herum, allerdings sind diese Namen oftmals zu unwichtig oder unbekannt, um genannt zu werden.

So ist die Neustadt von Russen besetzt, und viele Kämpfe finden im Stadtgebiet statt. Plünderungen und Brandschatzungen sind an der Tagesordnung und die Stadt leidet unter den katastrophalen Bedingungen. So werden über 20 000 Verwundete zusammen mit Typhus-Opfern und Verhungerten einfach vor den Toren „gelagert“, um später in Lehm- und Kiesgruben zu verschwinden. Es gibt in dieser Zeit wahrlich genug Leid, doch muß ein Kainskind keinen Hunger leiden, Schmarotzer der Gesellschaft, die wir sind.

Johann von Ahlsbach jedoch sieht, wohin ihn seine Taten gebracht haben. Er sieht sein Versagen, die Zerstörung seiner geliebten Stadt und die erbärmlichen Zustände. Man erzählt sich, er sei mit blutigen Tränen und einem Lächeln auf den Lippen in die Sonne gegangen, als könne er eine lang vermißte Geliebte grüßen.

Es ist das Jahr 1813.

Die Regierung soll sein Kind, Balthasar Benedikt von Thiers, fortführen. Diesem jedoch ist sein Amt ein Dorn im Auge, nur äußerst widerwillig kümmert er sich um die nötigen Geschäfte. Vielmehr ist er ganz in seiner Zeit verhaftet und ein Kind der Romantik. Er fördert Caspar David Friedrich sehr stark und kümmert sich wenig um seine Domäne. So ist es nicht sehr verwunderlich, daß er nicht lange auf dem Thron bleibt. Die erste sächsische Verfassung von 1830 erlebt er noch, aber in den folgenden zwei Jahrzehnten läßt sein Interesse für die Politik immer mehr nach.

Vom 3. bis zum 9. Mai 1849 kommt es zum Dresdner Maiaufstand. Als er nach einigen wirren Tagen vom sächsischen und preußischen Militär gewaltsam niedergeschlagen werden kann, ist der Prinz, der sich unvorsichtig verhielt, vernichtet, und für einige Wochen steht die vampirische Gesellschaft Kopf.

Niemand hat für diesen Fall vorgesorgt und es dauert eine Weile, bis sich ein geeigneter Kandidat für das Prinzenamt findet.

Es gibt vielversprechende junge Kainiten, doch keiner von ihnen ist alt genug, um Prinz zu werden. Die Vertreter der Clans Tremere und Nosferatu lehnen das Amt ab. Schließlich fällt notgedrungen die Wahl auf einen Malkavianer, was eher als Notlösung denn als zufriedenstellendes Ergebnis gilt.

Carl-Otto Ruhge, mindestens seit dem Beginn der Herrschaft Augusts des Starken in der Stadt, ist der neue Prinz von Dresden. 

Wider alle Vermutungen hält er, der im tiefen Mißtrauen gegen den Zuckerguß des Barock und die politische Trägheit der Romantik aufgewachsen ist, sich recht lange in dieser Funktion. Wie vielleicht kaum ein anderer ist Ruhge empfänglich für die Zeichen einer neuen Zeit und gerüstet, um ihnen offenen Blickes zu begegnen.

1851 fährt der erste Zug von Dresden nach Prag auf der bereits seit 1839 fertiggestellten neuen Eisenbahnverbindung. Ab der Mitte des Jahrhunderts prägt zunehmend die Industrie die Wirtschaft Dresdens, und der neue Prinz, fasziniert von den Möglichkeiten moderner Technik, unterstützt jegliche Innovation. Neue Industriezweige wie die Tabakwarenindustrie, die chemisch-pharmazeutische und die feinmechanisch-optische Industrie sowie die Nahrungs- und Genußmittelindustrie bilden sich heraus.

Die ersten Industriegebiete entwickeln sich vor allem entlang der Leipziger Straße und der Blumenstraße.

Auch das Verkehrsnetz Dresdens wird ausgebaut, zahlreiche Verkehrsbauten wie das Blaue Wunder von 1893 entstehen. Zur selben Zeit taucht die elektrische Straßenbahn erstmals im Stadtverkehr auf. Die großen Bahnhöfe werden umgebaut, 1900 wird die Bergschwebebahn in Betrieb genommen.

Im starken Interesse des Clans Nosferatu liegt der Bau der Kanalisation in den 60er Jahren. Seit 1875 befindet sich in der Dresdner Südvorstadt die Technische Bildungsanstalt.

Der Clan Tremere ist ebensowenig blind für die Zeichen der Zeit wie der Prinz: Forschung findet jetzt auch unter den Sterblichen statt, die Volksbildung wächst. Einige Zufluchten von Tremere liegen bald in der Südvorstadt und gegen Ende des 19. Jahrhunderts etabliert sich dort das erste offizielle Gildehaus ohne große Schutzmauern. Von hier aus nehmen die Tremere frühzeitig Einfluß auf die entstehende Universität.

Zur selben Zeit beginnt das Interesse des Prinzen an der Kunst. Das letzte Jahrzehnt des ausgehenden Jahrhunderts hält für ihn den Naturalismus bereit, der den Malkavianer in seinem Versuch, mit schonungslosem Realismus Technik und Arbeitsbedingungen in den Fabriken darzustellen, begeistert. Er selbst versucht sich erstmals als Dichter eines naturalistischen Dramas, wie man sich erzählt, doch es erreicht nie die Augen der Öffentlichkeit.

Das Leben ist hektischer geworden, Schlagworte von der Moderne und dem nervösen Zeitalter prägen die Menschen, die breite Wirkung der Philosophie Nietzsches und die Entwicklung der Psychoanalyse kündigen sich an.

Um die Jahrhundertwende zählt Dresden eine halbe Million Einwohner.